Silbermann Orgel Reinhardtsgrimma

Silbermann Orgel zu Reinhardtsgrimma

Evangelische Kirche Reinhardtsgrimma

 

 
Kreuzorganist Herbert Collum

 

Herbert Collum


Biografie eines außergewöhnlichen Kirchenmusikers


Im April 1935 wurde der damals erst 21-jährige Herbert Collum neuer Kreuzorganist. Am 18. Juli 1914 in Leipzig geboren, übte er bereits als 14-jähriger an der dortigen Mathäikirche seine erste Organistentätigkeit aus. Von 1930 bis 1934 studierte er am Leipziger Landeskonservatorium bei Karl Straube und Günther Ramin (Orgel), Carl A. Martienssen (Klavier) und Johann Nepomuk David (Komposition). Von 1932 bis 1935 war er Assistent von Günther Ramin an der Thomaskirche in Leipzig.
 Mit seiner Wahl zum Kreuzorganisten wurde ein großer stilistischer Umbruch eingeleitet. Gegenüber der Spätromantik seiner Vorgänger brach die Zeit der Orgelbewegung und der klassischen Modeme an. Schon als 19-jähriger beeindruckte Collum seine Zeitgenossen: „Hier war Rhythmus, sicherer Einsatz, Präzision, Beherrschung des Instrumentes, aber auch Leidenschaft und Feuer.“ In seiner Programmwahl, seinen Interpretationen und Kornpositionen lag er stilistisch zwischen der hohen Expressivität der Romantik einerseits und der „Neuen Sachlichkeit" andererseits. Eine zentrale Rolle spiel ten für ihn vor allem die Werke Johann Sebastian Bachs und Max Regers ebenso wie diejenigen seines Lehrers Johann Nepomuk David sowie seine eigenen Kompositionen.
 Bereits 1935 gründete er die „Dresdner Collum-Konzerte". Neben seiner Tätigkeit als Kreuzorganist ging er auch einer umfangreichen auswärtigen Konzerttätigkeit nach: 1936/37 führ ten ihn z.B. Konzertreisen nach Dänemark, Schweden, Norwegen und Italien. 1936 begann er mit der noch heute bestehenden Tradition der Orgelkonzerte an der Silbermannorgel in Reinhardtsgrimma.
Seit der 1930 beginnenden Amtszeit von Kreuzkantor Rudolf Mauersberger wurde das Programm der Kreuzchorvespern in die noch heute ausgeübte Form mit vorzugsweise reiner Chor- und Orgelmusik gebracht, während Kreuzkantor Oskar Wermann zuvor die Mitwirkung von Vokal- und Instrumentalsolisten eingeführt hatte. Mit Mauersberger, der bis zum Beginn seines Kreuzkantorats auch als Orgelkomponist in Erscheinung trat, und Collum waren über Jahrzehnte hinweg zwei an sich sehr konträre Musikerpersönlichkeiten an der Kreuzkirche tätig. Der Luftangriff am 13. Februar 1945 zerstörte nahezu die gesamte Dresdner Innenstadt. Collum war einer der ersten, der bereits in den Trümmern wie der musizierte und kulturpolitisch aktiv wurde. Seine damalige gezwungenermaßen auf verschiedene Orte verstreute Tätigkeit wurde mehrfach als „Wanderschaft" beschrieben: Von Reinhardtsgrimma aus, wo er nach der Zerstörung Dresdens zunächst gemeinsam mit zehn anderen Familien im Pfarrhaus wohnte, folgten erste Konzerte, oftmals gemeinsam mit seiner Frau, der Sopranistin Herta-Maria Collum-Böhme Nachdem ihm durch die Zerstörung der Kreuzkirche weder Aufführungsort noch Instrumente zur Verfügung standen, gründete er 1946 den späteren, bis 1969 bestehenden ,,Collum-Chor".
 Die in der Ruine der Reformierten Kirche errichtete Notkirche war der erste in der Dresdner Innenstadt wiederhergestellte Kirchenraum. Ab der 1948 erstmals gefeierten Christvesper trat hier der „Collum-Chor" auf. Etwas später folgten sonntägliche Kirchenmusikstunden in der Armenkirche zugunsten des Wiederaufbaus der Kreuzkirche und nach der Wiedereinweihung der Kreuzkirche am Sonntag, dem 13. Februar 1955 auch bei Abwesenheit des Kreuzchores Auftritte in den dortigen Vespern. Die Aufführung chorsinfonischer Werke von Bach bis Strawinsky gehörte zum Programm des Chores.
 In der Kreuzkirche stand Collum 23 Jahre keine große Orgel zur Verfügung. Nachdem diese wegen des ab 1940 begonnenen Umbaus nicht nutz bar und später zusammen mit der Kirche zerstört war, spielte er zunächst auf der im November 1949 eingeweihten Orgel der Reformierten Kirche und danach auf der 1951 umgebauten Orgel der Armenkirche. Erst 1963 konnte die neue große Orgel der Kreuzkirche eingeweiht werden. Bereits unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg begann Collum, zyklische Orgelkonzerte zu veranstalten, darunter 1949/50 unter dem Titel „Ein Jahr Johann Sebastian Bach" - erstmals ein Bachzyklus, dem später noch mehrere Aufführungen des gesamten Orgelwerks Bachs folgen sollten.
 Der von ihm eingeführte, ganzjährig einmal monatlich montags stattfindende Orgelzyklus hatte vor allem zu DDR-Zeiten eine äußerst zahlreiche und junge Zuhörerschaft. Dieses für die DDR erstaunlicherweise allgemein zu beobachtende Phänomen fand in Collums Orgelkonzerten besonders starke Ausprägung. Nicht zuletzt seine an junge Hörer gerichteten Vorführungen an der Orgel des Dresdner Kulturpalastes mögen ihren Teil dazu bei getragen haben. Im noch heute bestehenden Orgelzyklus gastierten schon damals neben dem Kreuzorganisten namhafte Organisten aus dem In- und Ausland. Collum begann die immer noch bestehenden Silvester Orgelkonzerte, in denen er häufig Bachs sogenannte „Orgelmesse" spielte. Neben seiner Dirigenten- und Chorleitertätigkeit trat er auch oftmals solistisch oder gemeinsam mit den Musikern der renommierten Dresdner Orchester als Cembalist auf.
 Collums Dresdner Tätigkeit war von zwei Diktaturen geprägt. Als 1961 der Mauerbau begann, befand sich Collum auf einer Konzertreise im Westen, kehrte jedoch nach Dresden zurück und blieb damit erneut seiner sächsischen Heimat treu, wie er es schon 1950 getan hatte, als er die an ihn herangetragene Professur für Orgel in der Nachfolge des Lübecker Marienorganisten Walter Kraft an der Freiburger Musikhochschule ablehnte. Als eingeschriebenes Mitglied der CDU bekannte er sich ausdrücklich zu christlichen Traditionen. Auch ihm wurde in der DDR sein künstlerisches Engagement in mancherlei Hinsicht nicht gedankt. So gestattete man es ihm über lange Jahre hinweg nicht, westliche Konzertreisen und Lehraufträge anzunehmen. Aus diesem Grund musste er auch 1961 seinen seit 1949 ausgeübten Lehrauftrag an der Kirchenmusikschule im Westberliner Johannesstift beenden. Er lehrte 1953 bis 1956 Orgel an der Dresdner Musikhochschule, wo er ab 1964 Cembalo unterrichtete. 1960 wurde er mit dem Professorentitel ausgezeichnet. Große Erfolge konnte er auf Gastspielen in der Sowjetunion und in anderen sozialistischen Ländern erreichen. Vor allem deshalb wurde ihm 1979 der National preis der DDR verliehen."
 Collum hinterließ ein umfangreiches kompositorisches Schaffen. Sein Stil war u.a. von dem seines Lehrers David geprägt und verband atonale, zwölftönige und neoklassizistische Elemente?". Seine Werke entstanden hauptsächlich zwischen 1940 und 1976. Vor allem in den Nachkriegsjahren trat er verstärkt als Komponist in Erscheinung. 1944 konzipierte er unter dem Eindruck der Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs sein wohl bekanntestes Werk „Totentanz", 25 Variationen über das alte Volkslied „Es ist ein Schnitter, heißt der Tod". Das Werk wurde 1950 von ihm selbst an der Orgel der reformierten Kirche Dresden uraufgeführt. Die von Collum dazu überlieferten, später für die neue Kreuzkirchenorgel erstellten Registrierungen zeigen exemplarisch seine kaleidoskopartige Behandlung des Instruments und eine starke Bevorzugung von aus heutiger Sicht ungewöhnlichen Klangkombinationen, vor allem der sogenannten „Spaltklänge". Es entstanden außerdem mehrere Schallplattenaufnahmen, u. a. auf Silbermannorgeln.
 Nachdem sein Wirken noch 1979 zu seinem 65. Geburtstag mit „Spielmannskunst, geistige Heiterkeit und schöpferische Arbeit" umschrieben wurde, verstarb Herbert Collum nach 47-jähriger Tätigkeit als der am längs ten wirkende Kreuzorganist am 29. April 1982 im Amt. Er wurde auf dem Kirchhof in Reinhardtsgrimma bestattet.

Auszug aus Buch: Greß/Gehring Orgeln und Organisten der Kreuzkirche Dresden