Silbermann Orgel Reinhardtsgrimma

Silbermann Orgel zu Reinhardtsgrimma

Evangelische Kirche Reinhardtsgrimma

 

 
Aufzeichnungen
von Pfarrer Hiecke ( 1891 - 1970 )




Die Zeitschrift für Kirchenmusiker 10/1933 schreibt:


Gewiß nicht das wichtigste, wohl aber das bekannteste Ausstattungsstück der Reinhardtsgrimmaer Kirche ist die Orgel, die Gottfried Silbermann im Jahre 1730 erbaute und für die er 800 Taler erhielt. Der Dresdner Kreuzkirchenorganist Herbert Collum, der auf ihr gern Konzerte gibt, bezeichnete sie einmal als das „klingende Wunder der Orgelbaukunst“ und Helmut Walcha, der blinde Musikprofessor in Frankfurt, urteilte nach einer Studienfahrt durch Sachsen: „Den stärksten Eindruck auf meiner Reise erhielt ich aber durch die Bekanntschaft mit einer Silbermannorgel in Reinhardtsgrimma. Dieses mir bisher unbekannte zweimanualige Werk Silbermanns gehört zu den schönsten Orgeln, die ich kenne. Der Klang dieser geradezu bezaubernd schönen Orgel ist eigentlich unbeschreiblich.... Der singende Ton und der milde Glanz, der über dem Register liegt, sind Eigenschaften Silbermann ’scher Prinzipale, die hier in einem ganz übergroßen Maße zu Tage treten. Die beiden Rohrflöten sind in ihrem warmen, weichen, tragfähigen Tone geradezu unbeschreiblich“.

Wie kam die Kirche in den Besitz eines solchen Kunstwerkes?


Die Vorgeschichte, die sich aus alten Kirchenrechnungen ergibt, ist höchst verwunderlich.

Im Jahre 1642 waren dem Orgelbauer Tobias Weller in Dresden 18 Schock für Renovieren und Einstimmen der Orgel bezahlt worden, vielleicht hatte sie durch Kriegseinwirkungen gelitten. Sein Geselle bekam 48 Groschen und für die zwei Personen wurden auf drei Wochen auch noch 2 Schock 24 Groschen bezahlt; das muß also ganz ordentliche Orgelerneuerung gewesen sein!

Kaum 20 Jahre später jedoch wurde 1661 ein neues Orgelwerk beschafft. Es erstellte derselbe Orgelbauer wie 1642 und erhielt hierfür 280 Taler, das alte Werk nahm er mit 80 Talern in Zahlung. Die Gesamtkosten dieses Orgelbaues beliefen sich auf 390 Taler 9 Groschen und 3 Pfennige, wozu aus der Gemeinde 152 Taler 13 Groschen 8 Pfennige „aus christlicher Intention, dem lieben Gott zu Ehren und zur Erweckung mehrerer Andacht gutwillig“ beigetragen wurden.

Und nun sollte keine 70 Jahre später schon wieder eine neue Orgel nötig sein? Kein Wunder, daß ein Teil der Gemeinde nicht willens war, dafür aufs neue Opfer zu bringen, sondern die Meinung vertrat, wenn die alte Orgel repariert würde, könnte sie ihren Dienst noch eine Zeit lang verrichten.

Schon 1725 war Gottfried Silbermann um ein Gutachten über die alte Orgel und einen Plan für eine neue Orgel ersucht worden. Der erbetene Bescheid hat folgenden ergötzlichen Inhalt:

„Auf Befehl der Hochwohlgeborenen Frauen, Frauen Christianen Eleonoren von Tettau, geborener von Berbisdorf, verwitweten Frau Cammerherrin auf Reinhardtsgrimma und Cunnersdorf, als meiner gnädigen Frauen, habe ich Endeunterschriebener die alte Orgel in Reinhardtsgrimma durch und durch besehen und also befunden, daß sie zu keiner dauerhaften Reparatur könne gebracht werden.

Denn stehet  das Orgelwerk an  einem solchen entlegenen Platze, der keinen rechten Prospekt hat, und von der sämtliche Gemeinde in der Kirchen allzu weit entfernt ist, daher man bei völligem Singen, aus Ursache, weil sich die Orgel in dem Chore verstecket, von derselben nichts vernehmliches verstehen kann.

Hat die Orgel die kurze Oktava, darauf ein Organist nach heutiger Manier sonderlich beim Musizieren, nichts geschicktes zu traktieren vermögend ist, und also sehen

Dero Gnaden hieraus meine Aufrichtigkeit und das hierüber gefällte Judicium, zur genüge, daß sie zu keiner Reparatur tauglich. Sollte es auch gleich

geschehen, daß welche gefunden werden, die sich dieselbe zu reparieren unternehmen wollten, so garantiere (ich), daß sie von keinem Bestand, sondern nur auf eine Geldschneiderei angesehen ist, davon aber die Kirche und dasige Gemeinde nicht mehr Nutzen hat, als daß sie sich bei einem erfolgten neuen Orgel-Bau zu doppelten Unkosten werden gefaßt halten müssen.

Dieses ist es, was ich auf Dero gnädigen Befehl, nach meinem Wissen und Gewissen habe vorher erinnern wollen. Sind Ew. Gnaden an noch der gnädigen Resolution, eine ganz neue Orgel in der Kirchen aufführen zu lassen, wie dann Ihnen das Project samt der dazu gehörigen völligen Disposition mit inseriere, so kann ein ergiebiges von der alten Orgel zum Beitrag der neuen, soviel von zinnern und metallenen Pfeiffwerk, in der alten Orgel befindlich gebraucht werden, nur daß vorher verständige Zinn Taxierer hierzu ernennt sind, die, wenn es eingeschmolzen, bei ihrem Gewissen aussagen, wie viel es dem Gewicht nach in Pfunden wert sei.

Die ganze Disposition der neuen Orgel ist folgende, nur ist der Ort noch zu bemerken, all wohin dieses neue Werk gesetzt werden soll, damit bei ereignender Veränderung derer Emporkirchen und der Decke an derselben nichts mutieret oder eingerissen werden darf, daß kein bequemerer hierzu ist, als vorne beim Turme, denn derselbe ist zum Chor fundamental und firm, zum Prospect habil, und dann der Gemeinde profitable.

Wann nun dieser Orgel-Bau nach ob beigefügter Disposition mit deren dazugehörigen Requisits, als Bildhauer, Tischler, Schlosser, Circen- und Hufschmiede, Nadler und Gürtler, oder wie sonst Nahmen haben mögen, gut und tüchtig, daß auch nicht das Geringste daran manquieret, soll gemacht werden, so beläuft sich derselbe, exclusive des Mahlers und der Zimmerleute Arbeit beim Chor und Bälgen legen, aufs Genaueste auf 800 Thaler. Wobei auch freie Ab- und Zufuhr, in gleichem freiem Quartier, solange über der Orgelsetzung zubringen, zugestanden wird.


17.Oktober 1725
Gottfried Silbermann
Hof- und Land-Orgel-Bauer“

(Da vorstehendes Gutachten Silbermanns nur in einer Abschrift vorlag, ist es möglich, daß Fehler der Rechtschreibung und des Satzbaues auf den Abschreiber zurückzuführen sind).

Drei Jahre lang blieb daraufhin alles still, bis zum Jahre 1729. Die Frau Cammerrätin scheint inzwischen nach Dresden verzogen zu sein, wo sie 17733 verstarb.

Die treibenden Kräfte, denen wir die Durchführung des Orgelbaues zu verdanken haben, waren die beiden Damen, die 1729 das Kirchenpatronat innehatten, Fräulein Christiana Elisabeth von Tettau und ihre Schwester Agnes Catharina, Frau „Obrist“ von Venediger, beides Töchter der Frau Cammerrätin. Mochte der schon erwähnte Umbau des Kircheninneren sehr notwendig sein und von der Gemeinde dringend gewünscht werden, mochte auch die alte Orgel nach einer Reparatur ihren Dienst noch für einige Jahre verrichten können – die beiden energischen Damen setzten es durch, daß die neue Orgel eben jetzt gebaut wurde. Vielleicht hatte es Silbermann, der so wunderbare Orgeln zu bauen verstand und deswegen schon berühmt zu werden begann, ihnen gesagt, daß er jetzt noch Zeit habe, in dem kleinen Dorfe Reinhardtsgrimma eine kleine Orgel zu bauen; wenn er später größere Aufträge haben werde, würde er für Reinhardtsgrimma nicht mehr arbeiten können.

Darum also mußte  jetzt zugegriffen werden: jetzt oder nie!

So gingen also die beiden resoluten Damen an`s Werk, regelten die Finanzierung des Orgelbaues und haben es allen Widerständen zum Trotz geschafft, daß Reinhardtsgrimma eine Silbermannorgel erhielt.

Ergötzlich ist, was ein im „toten Archiv“ des Pfarramtes aufgefundener Briefwechsel zwischen den beiden Patronatsdamen und dem Amtmann Königsdörffer in Dippoldiswalde über ihren Kampf um die Silbermannorgel verrät.

Die Orgel sollte 800 Taler kosten; davon sollten 461 Taler aus Kapitalzinsen des Kirchenvermögens aufgebracht werden, das Übrige durch ein Umlage auf die drei “adeligen“ Dörfer, die der Gerichtsbarkeit der Gutsherrschaft unterstanden, und auf die „Amtsdörfer“, die zum Amt Dippoldiswalde gehörten, Hirschbach, Oberfrauendorf, Niederfrauendorf und Reinholdshain. Das „hochadelige Haus Reinhardtsgrimma“ spendete gleich 34 Taler in bar.

Am 8. Januar 1729 bitten die beiden Damen den Amtmann, „den Vertrag wegen eines Zuschusses zu unserm Orgelbau von Deren Untertanen nicht zu vergessen ..., damit wir den fälligen Kontrakt mit Herrn Silbermann schließen können“.

Die Amtsdörfer jedoch machten Schwierigkeiten. In einer Eingabe an den Amtmann vom 15. Januar 1729 stellten sie die Frage, „ob man das Werk nicht könnte etwas wohlfeiler erkaufen“ und regen an, zu förderst  die Emporen der Kirche zu erweitern und zu verdoppeln, und erst dann den Orgelbau in Angriff zu nehmen, „weil man sonst besorget, es möcht von dem vielen Staub und Pochen des Kirchenbaues das Orgelwerk wieder Schaden nehmen“. Außerdem müßten nach ihrer Meinung die drei adeligen Dörfer ihrer Leistungsfähigkeit entsprechende und – „indem sie auch das Gotteshaus um ein gutes Stück näher haben als wir“ – doppelt so viel aufbringen wie die anderen Orte. „Bevor sie das nicht zusagen, wir keinen Dreier zu vorgedachten Bau erlegen“. Das geharnischte Schreiben schließt mit der „untertänigsten Bitte, solches in Erwägung zu ziehen und uns arme Untertanen mit fernerer Anmutung einiges Betrages zu verschonen“. Das war deutlich und derb gesagt; die Amtsdörfer lehnten den Orgelbau ab!

Die adeligen Dörfer waren entgegenkommender – vielleicht konnten sie sich den Wünschen ihrer Gerichtsherrschaft nicht widersetzen. In einer von der Herrschaft einberufenen und geleiteten Versammlung der Vertreter der adeligen Dörfer trafen sie Anfang Mai folgende Vereinbarung:

„Sind wir Endesbenannten Untertanen in Gegenwart der hochadeligen Gerichtsherrschaft, Ihrer Gnaden, der Frau Obrist von Venediger und Frl. von Tettau, anbefohlener maßen erschienen, um zu Ihrem allda vorhabenden Orgelbau einen Beitrag zu tun. Da sie uns versprochen, die völlige Reparatur der Kirche nach Bezahlung des neuen Orgelbaues vor sich gehen zu lassen, womit wir sämtlich zufrieden, wollen uns also Endesunterschriebene offerieren, zu diesem neuen Orgelbau einen Beitrag zu tun, nämlich der Bauersmann 2 Thaler., wie vorgesehen, vier Gärtner auch 2 Thaler., in gleichen acht Häusler auch 2 Thaler., und diese 2 Thaler. in drei Terminen zu bezahlen ... Die Hausgenossen werden sich nicht entbrechen, nach ihrem Vermögen beizutragen, ungefähr Mann und Weib 2 Groschen; doch wird der Wohlhabende nach seinem besseren Vermögen ein Mehreres tun, davon sie Gottes Segen zu gewartet haben“.

Vergebens bemühten sich Patronatsherrschaft und Amtmann, auch die Amtsdörfer zu gleicher Opferbereitschaft zu veranlassen; die Gemeindevertreter erklärten jedoch vor dem Amtmanne, daß sie sich mit dem „Reinhardtsgrimmaer modo collectandi nicht conformieren könnten: vielmehr wollten sie bei dem von Ihnen bewilligten quanto der 100 Thaler. bleiben und solche Summe unter sich aufbringen; zu mehr aber könnten sie sich nicht verstehen“.

Die Niederschrift fügt hinzu: „ob nun schon anwesenden Deputierten alle gütliche Vorstellung getan wurde, daß sie in Erwägung dieses, eine pia causa und den Gottesdienst anbeträfen, sich nicht so harte und widerspenstig erwiesen, vielmehr die wenigen Taler, die noch über die von ihnen bewilligten Taler unter ihnen vielleicht aufzubringen sein würden, hingegen aber auch versichert sein sollten, daß dasjenige, was sie wegen Erweiterung und Verdoppelung der Emporkirchen erinnert, auch ins Werk gesetzt werden sollte, sobald nur jetziger Orgelbau zustande wäre, so verbleiben doch Deputierte bei ihrer einmal getanen Deklaration ...“

Unterdessen mögen die beiden Damen, die den Orgelbau gerne in Gang bringen wollten, wie auf Kohlen gesessen zu haben! In einem ihrer zahlreichen Briefe an den Amtmann heißt es am 16. Mai 1729: Nachdem wir alle Tage auf unsere schon längst überschickten Schreiben die völlige Antwort zu erlangen, solches aber bis dato nicht erfolgt ist, ersuchen wir unsern hochgeehrten Herrn Amtmann, Dessen Versprechen nach, uns doch die völlige Antwort wegen des Orgelbaues zuzusenden; die Sache jetzt sehr pressieret und keinen längeren Aufschub leiden will, damit wir mit der Kirche und Silber Mann zu Ende und Schluss gelangen könne ....; denn es will Herr Silber Mann der Geduld zu haben nicht mehr zugänglich sein ...“

Im März des Jahres 1730, in dem die Orgel nunmehr errichtet werden sollte, beklagt sich die Patronatsherrschaft erneut über das Dorf Hirschbach, das mit seiner Zahlung zum Orgelbaue im Rückstand sei:

„Es haben Desselben hiereingepfarrte Untertanen den bewilligten anderen Termin, Martini (Ende Oktober) gefällig, zum Orgelbau alle anitzo abgetragen bis auf das Dorf Hirschbach, welches wir nicht einmal , sondern vielmal im Guten erinnern ließen; es ist aber nichts darauf erfolgt, also haben wir unsern hochgeehrten Herrn Amtmann um obrigkeitliche Hilfe ersuchen wollen ... Es ist schon der Ostertermin wieder vor der Tür und Herr Silber Mann kommt künftigen Johanni her, und setzet die Orgel, da ihm das Geld zu zahlen versprochen war“.

Umgehend werden Hirschbacher Gemeindevertreter nach Dippoldiswalde zum Amtmann zitiert und begründen ihren Zahlungsverzug mit der Besorgnis, „es möchte, wenn der Orgelbau zu Ende gebracht, an die Erweiterung der Emporkirchen ferner nicht gedacht werden, welches doch jetzt bei Aufsetzung der Orgel ... mitgeschehen könnte“. Ja, die guten Hirschbacher, die anscheinend keine großen Musikfreunde waren, äußern sogar den Gedanken, „daß es mit dem alten Orgelwerke, wenn es in etwas repariert worden wäre, sich noch auf einige Zeit zu behelfen gewesen sein möchte“!!

Die Patronatsherrschaft konnte darauf nur entgegnen: „Daß die Leute in dem Gedanken stehen, ob könnte die Orgel repariert werden, verstehen wir nicht“, der Amtmann selber habe sich ja auch davon überzeugt, "daß ein so großes Werk in unserer Kirche nicht Reparatur aushalten wolle".

“Schon lange zuvor hatten die tatkräftigen Patronatsdamen den betagten, 77 Jahre alten Ortspfarrer, Magister Strohbach, der auf seine alten Tage nicht mehr den rechten Mut haben mochte, einen Orgelneubau selber zu betreiben, veranlaßt, die notwendige Eingabe an die Kirchenbehörde zu machen. Sie ist datiert vom 21. Juli 1729 und hat folgenden Wortlaut:

„Jesum
Hochwürdiger, Magnifikat, hochgelehrter Herr Doktor,
hochgebietender Herr Ephor"

Nachdem hiesige beide gnädigen Herrschaften, einesteils die Hochwohlgeborene Frau Obrist – Lieutenant von Venediger, geborene von Tettau, andernteils das Hochwohlgeborene Frl. von Tettau auf Reinhardtsgrimma, als Collatorinnen, denen das ins Patronatus über hiesige Kirche einig und alleine zustehet, entschlossen, bei dem bisherigen merklich verunzierten, großen Verfall des hiesigen Orgelwerkes ein neues anzuschaffen, also haben wir Endes genannte Pfarr- und Kirchväter der Schuldigkeit gemäß erachtet solch gottgefälliges Vorhaben Ihrer Hochwürden in folgenden Punkten zu hinterbringen.

Daß von undenklichen Zeiten her bis Dato ein ziemlich großes Orgelwerk in den Kirchen gestanden und Gott zu Ehren auch zum christl. Unterricht im Singen, bei der Gemein gebraucht worden, sei aber nicht zu finden, was solches gekost haben möchte,

Daß solches in so langer Zeit, und nachdem es dann und wann repariert worden dergestalt abgenutzt, daß es nunmehr weiter nicht anzurichten sei, indem es sehr übel klinge und heule, sodaß der Organist manchmal mitten im Liede aufhören müsse, und man der Kirche und Gemeinde nur gedoppelte Unkosten verursachen würde, wenn man es gleichwieder versuche und daran bessern wolle, mithin hernach ein neues Werk dennoch anschaffen müsse.

Daß demnach die unumgängliche Notwendigkeit vorhanden, eine neue Orgel aufführen zu lassen.

Daß aus diesen Ursachen die Hochadel. Herrschaften den bekannten Orgelbauer Gottfried Silbermann zu Freyberg vor einiger Zeit zu sich erfordert, welcher dann, weil die Orgel an einem solchen entlegenen Platze, der keinen rechten Prospekt hat, steht, und von der Gemeinde in der Kirche allzu weit entfernt, auch im Chor allzu weit versteckt ist, daß man von derselben nichts vernehmliches verstehen kann, den einigen Orth vorgeschlagen, der vorne beim Turm ... (siehe Silbermanns Gutachten)

Daß also an diesem Ort die Frau und Fräulein Collatricin eine neue Orgel setzen zu lassen gesonnen, welche eventualiter auf 800 Thaler bedungen und nicht geringer zu behandeln gewesen.

Daß zu diesen 800 Thalern die Kirchenkinder 288 Thaler. 1 Gr. laut der Beilage sub B freiwillig beitragen wollen, 50 Thaler. aus dem alten Orgelwerk ungefähr zu nehmen und die übrigen 461 Thaler. 6 Pf. von denen an die jährlich sich auf 200 Thaler. 7 Gr. 3 Pf. betragenden Kirchenzinsen genommen werden müßten.

Daß Herr Silbermann die Orgel auf Martini 1729 liefern und solche Zeit seines Lebens gewahren, auch nach dem Project sub C die Partikular-Solution annehmen wolle.

Daß die ganze Kirchfahrt darum bähte, und mit allem wohlzufrieden wäre, auch eben deswegen sich so geneigt zum freiwilligen Beitrag finden lassen.

Ferner hauptsächlich anzuführen, daß, weil die Kirchfahrt sehr stark, nach aller Musikverständigen Meinung, welche die Herrschaft consultiert, ein kleineres Werk als dieses ist, nicht genug Stimme und das Geld dafür vergeblich, die jetzige Orgel auch fast eben so groß sein würde.

Daß die Kirchzinsen jährlich an die 200 Thaler. 7 Gr. 3 Pf. betrügen laut beiliegenden Extrakt sub D, und daß auf die Jahre, die man partikulariter das in Projekt enthaltene Quantum nach und nach bezahlt, dennoch ein ergiebiges und fast alle Jahre an die 108 Thaler. 7 Gr. 3 Pf. zur Reserve bliebe, der Stamm aber im Geringsten nicht angegriffen würde.

Bey so gestallter Sache haben wir, Pfarr- und Kirchväter nichts Bedenkliches einzuwenden, als vielmehr das gottgefällige Vorhaben hiesiger gnädiger Herrschaften hoch zu rühmen und nach unserer obliegenden Schuldigkeit gemäß helfen zu befördern, auch um gültige Approbation demütigst zu bitten, worum wir unter gehorsamsten Empfehlungen beharren

Ihrer Hochwürdigen Magnifikus, unser
Hochgebietenden Herrn Ephor
gehorsame
Johann Georg Strohbach Pastor in Reinhardtsgrimma 1729
Kirchenväter
David Richter, Hans Francke, David Schuhmann

Mit einer heutzutage überraschenden Schnelligkeit hat der Pirnaer Superintendent  D.Christian Carl Stempel an das Oberkonsistorium berichtet und den Reinhardtsgrimmaer Orgelbau befürwortet. Und schon am ersten August ergeht der Bescheid der obersten Kirchenbehörde. (Wie schnell damals die Behörden gearbeitet, trotzdem es noch keine Eisenbahn oder Postautos und Fernsprecher gab)!

„S.S. Des. Aller durchlauchtigsten, Großmächtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Friedrichs August, Königs in Polen, Herzogs zu Sachsen, Jüle, Kleve, Berg, Engern und Westfalen, Kurfürsten unseres allergnädigsten Herrn unser freundlich Dienst zuvor, ehrwürdiger und hochgelehrter guter Freund, Uns ist vorgetragen und verlesen worden, was ihr wegen nötiger Anschaffung eines neuen Orgelwerkes in der Kirche zu Reinhardtsgrimma unter 23sten nächstabgewichenen Monats Juli berichtet und zu Unserer Resolution gestellt.

Nun wir denn zu solchem Orgelbau 461 Thaler. aus dem Kirchenvermögen Bedenken tragen, jedoch geschehen lassen, daß hierzu 200 Thaler. und zwar 100 Thaler. von der bei solcher Kirche befindlichen Barschaft und die anderen 100 Thaler. von denen nachher eingehenden Zinsen  angewendet und das neue Orgelwerk an dem ferne beim Turm dem Altar gegenüber befindlichen Orte gesetzt werden möge.

Also ist anstatt Ihrer Königlichen Maj. und Churfürstlichen Durchl. Unser Begehren hiermit, ihr wollet auch darnach achten und der halben fernerer gebührende Verständigung tuen. Mochten wir auch mit Wiedersendung der Akten nicht bergen (?); und ihr vollbringet daran höchstgedachtes Unseres allergnädigsten Herrn gefällige Meinung.

Dresden, am 1. August 1729
Verordnete Präsident, Räte und Assessors im Oberkonitorio“.

Am 11. Aug. gab der Pirnaer Superintendent die unbefriedigende Entscheidung des Oberkonsistoriums weiter, worauf die beiden resoluten „Collastricinnen“ am 28. Okt. folgendes ausführliche und energische Schreiben nach Dresden richten und um Abänderung des Beschlusses bitten:

„Hochwohlgeborener Herr, wie auch Hochwürdige, Magnifici, Hoch Edle und Hochgelehrte Hochgeehrteste und Hochgeehrte Herren und Patroni Ew. Hochwohlgebornen? Excellene, wie auch Hochehrwürden. und Hochedle, haben aus des Herrn Superintendenten zu Pirna, unterm 23sten Juli a.c. erstatteten Bericht die unumgängliche Notwendigkeit eines neuen Orgelwerkes in der Kirche zu Reinhardtsgrimma und wie solches, nach der von dem Orgelbauer zu Freyberg Gottfried Silbermann gemachten Disposition, unter 800 Thaler. nicht zu behandeln sein würde, auch ein kleineres Werk wegen der sehr starken Kirchfarth nach dem dies falls zu Rath gezogenen Music-Verständigen Erachten, nicht genugsam Stimmen und die jetzige alte Orgel fast eben so groß, in mehreren hochgeneigt ersehen.

Ob nun wohl wir nebst der Kirchfarth 288 Thaler. 18 Gr. freiwillig beizutragen erbötig, ferner 50 Thaler. aus dem alten Orgelwerk ungefähr zu nehmen und die noch ermangelnden 461 Thaler. 6 Gr. nur von denen jährlich an die 208 Thaler. 7 Gr. 3 Pf. sich betragenden Kirchen-Zinsen und Einnahmen auf fünf Termine gar wohl genommen werden könnten, und dennoch nicht allein der völlige Stamm, sondern auch alle Jahre ein ergiebiges an 108 Thaler. 7 Gr. 3 Pf. zur Reserve bliebe. So haben doch Ww. Hochwohlgeb. Excell. wie auch Hochehrwürden und Hochedle zu solchem Orgelbau 461 Thaler. 6 Gr. aus der Kirche nehmen/lassen Bedenken getragen und anstatt derselben nur 200 Thaler. dazu anzuwenden unterm 1sten Aug. 1729 reskribieret. Nun können wir zwar höchlich contestieren, daß wir, seit der Zeit, die Sache mit unterschiedenen Music-Verständigen und darunter in Sonderheit mit dem Amtmann zu Dippoldiswalde wegen derer eingepfarrten Amtsdorfschaften, ferner wohl überleget, und daß es nicht darauf ankomme, daß wir unseres Ortes gerne eine kostbare große und zierliche Orgel in der Kirche zu haben wünschten.

Denn, so versichern die beiden Damen, es berichtet uns jedermann, daß in dieser sehr großen und langen Kirche und bei der sehr starken aus sieben volkreichen Dorfschafften bestehende Kirchfarth, eine kleinere Orgel als Silbermann in Riss gebracht und dergleichen der Wohledle Herr Geheime Rath von Bünau zu Üchen in eine noch kleinere Kirche genommen nicht stimmen, sondern das Geld nur vergeblich aufgewendet und vor verloren zu halten, auch in Ansehung, daß die Bezahlung erst in fünf Terminen geschieht, nicht zuviel sein würde, wenn wir mit Silbermann auf 800 Thaler. einig werden könnten; ja, es will verlauten, daß die Kirchfarth, wenn nicht ein convenables und tüchtiges Werk angeschafft würde, von ihrem freiwillig beliebten Beitrag, welcher aller geschehenen Vorstellung ungeachtet, nicht höher zu bringen, gänzlich abgehen dürfte, und könnte daher leicht geschehen, daß diese so schöne Kirchfarth ganz ohne Orgel bleiben müßte, auf welchen Fall, und da ein Schulmeister, er habe eine so starke Stimme wie er wolle, dieselbe zu überschreien nicht vermag, das Gelächter und Gespötte, wie nur noch am vergangenen Sonntag, da die alte, abgestimmte Orgel, anfangs noch einen heulenden Ton von sich hören lassen, mitten im Gesang aber stille stehen blieben, geschehen, keineswegs zu evitieren sein würde. Und wenn man, wie in Ermangelung einer tüchtigen Orgeln nötig sein würde, noch einen Cantor annehmen wollte, so würde doch in ein solches Onus die Kirchfarth nicht willigen, da ferne man auch denselben aus dem Kirchenvermögen enterhalten wollte, dürfte doch solches weit höher kommen, als wenn man jetzt eine tüchtige in denen fünf Terminen von denen Kirchen-Revenuen bezahlen würde, anderer Incommoditäten, und da wir noch dazu niemanden kennen, welcher eine hiesigen Orts brauchbare Orgel nach der vorigen Größe wohlfeiler machen und die vorgeschlagene partikular-Zahlung auf so viele Jahre auf Verzinsung annehmen wollte, zu geschweigen.

Und wir denn der zuversichtlichen Hoffnung leben, Ew. Hochwohlgeb. Excell. wie auch Hochehrwürden und Hoch Edle werden uns, denen Collatricinnen, bei unserer bekannten Wirtschaft soviel gütigst und hochgeneigt zutrauen, daß, wenn einige Möglichkeit vorhanden, mit einem kleinen Orgelwerk auszukommen oder dergleichen mit weniger Unkosten anzuschaffen, wir dabei unser Gewissen von selbst gebührend beobachten, und, wie wir ohnedem nicht gewohnt sind, die Unkosten bei diesem Orgelbau ohne Not keineswegs vergrößern, sondern vielmehr dem Exempel unserer Voreltern, als deren gütige Vorsorge und unverrückt gehaltene gute Ordnung, wie die jährl. untadelhaften Kirchenrechnungen ausweisen, ohne Ruhm zu melden, eben das Kirchen-Vermögen auf den jetzigen Fuß gesetzt, daß jährlich an Revenuen 208 Thaler. zu erübrigen sind, unveränderlich nachfolgen, sowohl vor uns selbst die Hand ins Künftige nicht abziehen würden.

Als ergehet an Ew. Hochwohlgeb. Excell. wie auch Hochehrwürdige und Hoch Edle unser schuldigstes Bitten, Sie geruhen, an den Superintendenten zu Pirna anderweit zu rescribieren, daß über die all bereits beliebte 200 Thaler. an noch 261 Thaler. 6 Gr. und also daß, nach Abzug des von der Kirchfarth bewilligten Betrages, benötigte völlige Quantum derer 461 Thaler. 6 Gr. zu dem vorhabenden Orgelbau und zwar ohne das Geringste von denen Capitalien anzugreifen, nur von denen Kirchen-Revenuen, in Maßen solches, da die Pfarr- und Schulgebäude teils in tüchtigen teils ganz neuem Zustande sich befinden und man deshalb in langer Zeit keinen Aufwand zu tun haben wird, gar wohl geschehen kann, und dennoch alle Jahre 108 Thaler. 7 Gr. 3 Pf. an Revenuen übrigbleiben, auf die gemeldeten fünf Terminen genommen werden mögen.

Wir verstehen uns Hochgeneigter Definierung umso vielmehr, da Silbermann besagte Orgel in Kurzem zur Perfection bringen und zugleich dieselbe Zeit seines Lebens, zu gewahren und vor allem Schaden zu stehen sich anheischig machen will, mithin die Kirche vor ihr Geld und wir  und die Eingepfarrten, mit einem tüchtigen und guten Werk werden versehen werden, uns versprechen können.

Die wir all stets verharren
Ew. Hochwohlgeb. Exzell. wie auch Hochehrwürdige und Hoch Edle Dienstschuldigste
Agnes Catharina von Venediger geborene  von Tettau
Christiane  Elisabeth von Tettau
Dresden, 28. Oktober 1729.

Was Pfarrer und Kirchenväter nicht vermochten, erreichten die beiden Damen. Am neunten November eröffnet das Oberkonsistorium dem Pirnaer Superintendenten:

„...Allermaßen wir nun bei denen mit einlaufenden Umständen und da die Kirchfahrt einen starken Beitrag hierzu tut, gebetener Maßen deferiert:

Also ist anstatt Ihrer Königl. Maj. und Churfürstl. Durchl. Unser Begehren hiermit, ihr wollet auch also darnach achten und deshalben fernerer gebührende Verfügung tun“. (Nämlich dem Ersuchen der Bittsteller entsprechen)“.

„Daran vollbringt ihr höchstgeachtes Unsres allergnädigsten Herrn gefällige Meinung.

Dresden, 9. November 1729
Verordnete Präsident, Räte und Assessoren in Obern Konsistorien“

Der Kampf war zu Ende, der Sieg errungen! Daß die tatkräftigen Kirchenpatroninnen sich noch im März 1730, wie wir sahen, mit den Gemeindemitgliedern aus Hirschbach wegen der rückständigen Beiträge herumstreiten mußten, waren nur Nachhutgefechte.

Allen Geldsorgen und Ärgernissen zu Trotz wurde die Orgel 1730 fertiggestellt.

Das Aktenstück, das den Briefwechsel zwischen den Kirchenpatroninnen und dem Amtmann Königsdörffer enthält, schließt mit dem eigenhändigen Eintrag des Amtmannes vom 7. Jan. 1731, dem Tage nach der „bei volkreicher Versammlung solenniter“ vollzogenen Einweihung der Orgel:

„Actio ist die Probe des von H.Silbermann gefertigten neuen Orgelwerkes zu Reinhardtsgrimma vor sich gegangen, und dieses von H. Pönischen, Organisten bei der Kreuzkirche zu Dresden, der dieses Werk auf Erfordern übernommen, allenthalben tüchtig befunden worden“.


Weniger nüchtern als der Amtmann rühmt der Dippoldiswalder Organist und Kantor Jacob Lehmann bei der Orgeleinweihung den Meister und sein Werk in einem Festgedicht, daß von Hoforgelbauer Jehmlich bei einer Reparatur der Dresdner Frauenkirchorgel in einer Peda-Wind-Lade zufällig aufgefunden wurde. Es schließt mit folgenden Reimen:

„Herr Silbermann macht seine Sachen gut!
Wir können heute noch ein neues Kunststück sehen,
Davon wird die Zensur von Klugen so geschehen:
Es ist vollkommen klug und nette aufgebaut,
Daß jeder, der es sieht, nur mit Vergnügen schaut.
Du weißt die Harmonie so lieblich anzubringen,
Daß manche Pfeifen tun, als wenn sie wollten singen.
Und weil man sich daran nicht sattsam hören kann,
So bleibst du, Silbermann, ein Silber feiner Mann!
Wir loben deine Kunst, dein Fleiß ist hoch zu schätzen.
Man weiß an diesem Werk, gar nichts auszusetzen;
Drum schreibt die Lettern dran: die Orgel klinget schön!
Wer anders räsoniert, muß schlecht die Kunst verstehn“!


Der alte Pfarrer, Magister Strohbach, konnte sich der neuen Orgel nicht mehr lange erfreuen; er verstarb am 11. Juli 1732 im Alter von 79 ½ Jahren, nachdem er 35 Jahre lang in Reinhardtsgrimma amtiert hatte.

Die alte Frau Tettau, die mit Silbermann die Verbindung aufgenommen hatte, verstarb 1733, eine Gedenktafel befindet sich in die Patronatsloge. Frau verw. v. Venediger geb. v. Tettau starb 1740 (Gedenktafel ebenfalls in der Kirche): Christiane Elisabeth von Tettau verstarb unvermählt 1755.

Zuletzt muß noch auf eine Frage eingegangen werden, die den Geschichtsschreiber interessiert: Wo hat eigentlich die alte Orgel gestanden, ehe Silbermann die neue Orgel „vorne beim Turme fundamental zum Chor“ einbaute? Nach den Bemerkungen in seinem Gutachten, daß das alte Orgelwerk an einem entlegenen Platze stehe, keinen rechten Prospekt habe, im Chor versteckt und von der Gemeinde allzu weit entfernt sei, so daß man bei vollem Gemeindegesang von ihr „nichts vernehmliches verstehen könnte, wird man wohl annehmen müssen, daß sie in dem heute nicht mehr benutzten Betstübchen über der Sakristei gestanden hat, zu dem von außen eine Treppe emporführt. Daß sie in einem der Betstübchen in der Nordwand des Chorraumes ihren Platz gefunden haben könnte, ist schon dadurch ausgeschlossen, daß diese Betstübchen und die dazugehörigen Treppen erst nach 1741 angelegt worden sind.

(Eine Treppe, die aus dem Kirchenschiff – links neben der Kanzel – hinaufführte, ist bei der Kirchenrenovation i. J. 1932 zugemauert worden).