Silbermann Orgel zu Reinhardtsgrimma
Evangelische Kirche Reinhardtsgrimma
Gottfried Silbermann
Silberenes Erz
zum Klingen gebracht
Ein Auszug über das Lebenswerk Gottfried Silbermanns aus dem
Buch von
Hermann Heinz Wille “Vom Kahleberg zum Fichtelberg”, VEB Brockhaus
Verlag Leipzig, 1966.
Dem Erzgebirge, überreich an abwechslungsreichen,
vielfältigen schönen Landschaftsbildern, mangelt es nicht an
architektonischen Sehenswürdigkeiten und kunsthistorischen
Kostbarkeiten, an Burgen und Schlössern, die Stürme und Zeiten
überdauerten, an gewaltigen Bergmannsdomen und wehrhaften
Dorfkirchen mit eindrucksvollen Kanzeln, eigenwilligen Altären und
Meisterwerken der Orgelbaukunst, tönenden Zeugen des Hoch- und
Spätbarocks, die das Erz und das Holz der heimatlichen Berge und
Wälder zum Klingen bringen.
Die Silbermanns sind seit 1530 als Kleinbauern, Handwerker und
Bildschnitzer in dem erzgebirgischen Bergbaugebiet zwischen Graupen
(Krupka) und Frauenstein nachgewiesen. Die alte Straßenfeste, die
damals auf dem „Frawensteyn" zwischen den Wasserläufen der Wilden
Weißeritz und der Mulde thronte, ist längst zerfallen. Nur die
zyklopischen Reste der Ringmauern mit ihren Rundtürmen, Wehrgängen,
Schießscharten und Pecherkern bezeichnen die Ausdehnung der von den
Stümpfen der beiden Haupttürme, des „dicken Mästens" und der
„Lärmstange", überragten mittelalterlichen Burganlage. Dazwischen
Mauerreste des Verbindungsgebäudes, dunkle Gewölbe und Teile des
Palas mit Kapellenfenstern.
Als Heinrich von Schönberg 1585 ein neues Schloß im Renaissancestil
aufführen ließ, mußten auch die in. Kleinbobritzsch ansässig
gewordenen Silbermanns Fron- und Gespanndienste leisten. Für den
„Hofzimmermann" und baldigen Amtszimtnermeister Michael Silbermann,
Vater des berühmten Brüderpaares Andreas und. Gottfried, den
Orgelbauern, mochte es auch späterhin an Arbeit nicht fehlen, so daß
er von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang unterwegs war. Das
Silbermann-Haus steht noch heute unter alten Bäumen am Dorfeingang
von Kleinbobritzsch. Die Familie Silbermann indes übersiedelte 1686
nach Frauenstein, wo sich der Platz am Familientisch in der
Hayngasse, unweit des eigenwilligen Marktplatzes mit Rathaus, Kirche
und Fronfeste, bald lichtete.
Der Älteste der sechs Söhne stellte sich auf eigene Füße und
verdiente sich in Frauenstein als „Graumeister" sein Brot. Der
zweite kehrte als „Steinbrückmüller" nach Kleinbobritzsch zurück.
Der dritte zog als Bader und Chirurg nach Glashütte. Der Jüngste
starb im jugendlichen Alter. Blieben Andreas und Gottfried. Andreas
Silbermann, zum Tischlerbandwerk bestimmt, floh vor den
Rekrutenwerbern Augusts des Starken als Bauernmagd verkleidet über
die Grenze. Bei dem berühmten Wiener Hoforgelbaumeister Eugenius
Casparini erlernte er die Kunst des Instrumentenbaus, arbeitete zwei
Jahre als Geselle bei dem nicht weniger berühmten Orgelbaumeister
Alexandre Thierry und ließ sich schließlich in Straßburg als
selbständiger Orgelbauer nieder. Unter seinen Kindern und
Kindeskindern finden wir allein neun Orgelbauer des Namens
Silbermann.
Über Gottfried Silbermanns Jugend- und Lehrjahre gehen die Meinungen
auseinander. Älteren Darstellungen zufolge soll er zu seinem
Patenonkel Jobst, einem Spielwarendrechsler in Seifen, in die Lehre
geschickt worden sein, wo er es nicht lange aushielt. Ein zweiter
Versuch, in Frauenstein das Buchbinderhandwerk zu erlernen, sei an
seinem jugendlichen Übermut gescheitert. Wegen Beleidigung des
Justizamtmannes im Frauensteiner Schloßgefängnis festgesetzt, mußte
er schließlich aus der Heimat fliehen. Bei seinem Bruder Andreas in
Straßburg fand er Unterschlupf und Lehre.
Um die Pfingstzeit des Jahres 1710 kehrte Gottfried Silbermann in
seine erzgebirgische Heimat zurück. Mit geborgtem Tischlerwerkzeug,
unterstützt von zwei Gesellen und einem Lehrbuben, baute er in
Frauenstein seine erste eigene Orgel mit 1025 Pfeifen aus
Altenberger Zinn und Frauensteiner Tannenholz. Unter den für dieses
Orgelwerk eingegangenen Spenden werden auch 12 Groschen von Michael
Silbermann, dem alt gewordenen Vater des jungen Orgelbauers
aufgeführt. Bereits die zweite Orgel war ein vollendetes
Meisterwerk: Es ist die Orgel im Freiberger Dorn, dreimanualig, mit
45 klingenden Registern und 2674 Pfeifen. In der Reiterwache am
Schloßplatz richtete sich Silbermann Wohnung und Werkstatt ein und
zog von hier aus mit fünf oder sechs beladenen Planwagen und dem
Gefolge seiner Gehilfen und Gesellen, in deren Troß sich auch die
Haushälterin befand, an seine Arbeitsorte, in die Dörfer und Städte
der Umgebung.
In rascher Aufeinanderfolge entstanden kleinere Werke in Conradsdorf
bei Freiberg, Pfaffroda bei Sayda, Oberbobritzsdt bei Frauenstein
und Niederschöna. Zwei weitere Orgeln für die Freiberger Jakobi- und
Johanniskirche folgten. Zwischendurch schlug der erzgebirgische
Orgelbauer seine fahrbare Werkstatt in Großmehlen bei Elsterwerda,
in Rötha bei Leipzig und schließlich in Dresden auf, wo er 1718 bis
1720 eine zweimanualige Orgel für die Sophienkirche baute. In diese
Orgel, auf der von 1733 bis 1746 Wilhelm Friedemann Bach spielte,
baute Silbermann erstmalig die der Menschenstimme ähnliche „Vox
humanes" ein, der er 1747 die „Unda maris", die Meereswoge,
hinzufügte. Außer Dresden erhielten in jenen Jahren noch Chemnitz
(heute Karl-Marx-Stadt) und Reichenbach im Vogtland Orgeln aus der
Werkstatt Silbermanns.
Obwohl es Gottfried Silbermann an Ruhm und Ansehen nicht fehlte,
flehte er in einer Bittschrift vom 10. Juni 1723 als „Untertänigster
Knecht" seinen „Allerdurchlauchtigsten Kurfürst und großmächtigsten
König" an, ihm den Titel eines „Kurfürstlich-Königlichen Hof- und
Landorgelmachers" zu gewähren, was auch geschah. Nun kamen zu den
bisherigen Auftraggebern, den Kirchgemeinden, vermögende Adlige
hinzu. In ihrem Auftrage entstanden die Orgelwerke für Lebusa, für
die Schloßkapelle in Tiefmau, für Püchau bei Wutzen und Crostau. Der
Rat der Residenzstadt Dresden ließ Silbermann eine dreimanualige
Orgel für die von dem Ratszimmermeister George Baehr, einem
Leinewebersohn aus Fürstenwalde bei Lauenstein, geschaffene
Frauenkirche bauen. Sie wurde ein Meisterwerk an Klangreichtum und
Klangschönheit. Auf ihr improvisierte und präludierte im Weihejahr
Johann Sebastian Bach. Gleichzeitig schuf der unermüdlich tätige
Silbermann eine vierte Orgel für die Bergstadt Freiberg, die in der
Petrikirche Aufstellung fand, und eine zweite Orgel für seine
Heimatstadt Frauenstein, wo sein Erstlingswerk beim Stadtbrand vom
Jahre 1728, dem auch sein Vaterhaus in der Hayngasse zum Opfer fiel,
vernichtet worden war. Leider ging auch die zweite Orgel beim
Stadtbrand von 1869, der die Kirche auf dem Marktplatz bis auf die
Grundmauern einäscherte, in den Flammen unter. Der Kantor konnte
unter Einsatz seines Lebens nur die Orgelbank aus der brennenden
Kirche retten. Die Arbeitsleistung Gottfried Silbermanns ist
bewunderungswürdig, wenn man bedenkt, daß er in den reichlich vier
Jahrzehnten, die zwischen dem ersten Frauensteiner Orgelbau und
seinem letzten Werk, der ”Wunderorgel" für die Katholische Hofkirche
in Dresden, liegen, 48 Orgeln erbaute. Außerdem wirkte Silbermann
als. Klavierbauer, dessen Klavichorde und Cimbal d'amoure sich in
Musikantenkreisen höchster Anerkennung erfreuten, der die Kielflügel
um zahlreiche neue Register bereicherte und der als einer der
Miterfinder des Hammerklaviers, des Pianoforte, gilt. Silbermann -
bis an sein Lebensende Junggeselle - lebte völlig seiner Arbeit und
verlangte von seinen Gehilfen dieselbe Hingabe an das gemeinsame
Werk. In seiner Werkstatt herrschte - um einen modernen Begriff zu
gebrauchen - strengste Arbeitsteilung, arbeiteten einige Gesellen
ausschließlich in „Zinn", andere in „Holz".
Besonders talentierte Gesellen beschäftigten sich mit der
Herstellung der mechanischen Teile, der Wellaturen, Zugstangen,
Winkel und Ventile, der Klaviaturrahmen und Tasten oder fertigten
die Laden und Bälge an. Die Geschicktesten von ihnen rückten bald
selbst zu Meistern auf, die um alle Herstellungsgeheimnisse wußten.
Zu ihnen zählten sein Neffe
Johann Georg Silbermann, des Meisters „rechte Hand", und Zacharias
Hildebrandt, der als Meisterstück die zweimanualige Orgel in
Langhennersdorf bei Freiberg schuf und beim Bau der letzten großen
Silbermannorgel in der Dresdner Hofkirche mitwirkte. Die Orgeln der
Silbermann-Schiller und ihres Kreises genießen in den
Erzgebirgsgemeinden ebensolche Hochachtung wie die Originale des
Freiberger Meisters, der eine seiner letzten Orgeln für die kleine
Dorfkirche in Nassau schuf.
„Späte Pfingsten - früher Winter!" scherzten die Urlauber, mit denen
wir am Pfingstsonnabend im Omnibus von Frauenstein in Richtung Sayda
fuhren. Gutgelaunt war auch der Fahrer. „Fallen Sie nicht ins
Wasser!" rief er uns nach, als wir in Nassau mit aufgespannten
Regenschirmen den Bus verließen. Seine Mahnung kam nicht von
ungefähr. Das Wetter und die Dorfstraße passten zusammen wie
Zwillingsschwestern und machten zusammen dem Dorfnamen - im
Volksmund „de Nass' genannt - alle Ehre. Wasser von oben. Wasser von
unten. Ein Glück, daß wir die Hochmoorwanderung nicht auf Pfingsten
aufgeschoben hatten. Die barocke Turmhaube der kleinen Nassauer
Kirche verhüllte sich im Regengrau. Die Tür des gegernüberliegenden
Pfarrhauses, das mit seinen Wölbungen und Balkendecken zu den
ältesten Gebäuden. des Ortes zählt, hielt ein Windstoß einladend
geöffnet.
Der Pfarrer hat sich daran gewöhnt, angemeldete und unangemeldete
Besucher zu empfangen, die sich für die Silbermannorgel und die
Orgelakten interessieren. Die Schriftstücke, die über die
Gewissenhaftigkeit und Umsicht Auskunft geben, mit der Silbermann zu
Werke ging, füllen eine dicke „Acta". Obenauf liegt der Entwurf der
geplanten Orgel, datiert vorn März 1745, unterschrieben von Johann
Georg Silbermann, des Meisters „rechter Hand". Der eigentliche
Kontrakt kam fünf Monate später, am 24. 8. 1745, zustande.
Ausführlich wird eingangs die Disposition des Orgelwerkes mit zwei
Manualen und Pedal erklärt, werden Materialbeschaffenheit und
Vorzüge der einzelnen Stimmen und Register dargestellt, wird
spezifiziert, wieviel Zentner Zinn und Blei und „Tännerne Dielen"
für das Pfeifenwerk, wieviel Pfosten und Schaffelle für die
Spanbälge, welche Hölzer für die Rahmenschenkel der Windlade
erforderlich sind. Selbst der Barchent zum überziehen der Gießlade,
das Spanisch-Weiß (Schlämmkreide} zum Polieren der Prospektpfeifen,
der erforderliche Leim und die Kohle zum Löten werden aufgeführt.
Dazu das Messingblech für die Zungenpfeifen, der Messingdraht zum
Festhalten der Ventile, das Ebenholz und Elfenbein für die Tastatur.
Die Unterbringung und. Beköstigung der Bildhauer, Schlosser,
Drechsler und Schmiede - an alles ist gedacht. Nicht zuletzt auch
daran, in welcher Weise und Münze die Zahlung der auf 740 Taler
:veranschlagten Bausumme erfolgen soll, was einem durchaus
angemessenen. Preis entsprach.
Das vergilbte Schriftstück trägt vier Unterschriften und Siegel:
links die der Auftraggeber, des Superintendenten Chr. F. Wilisch,
der vorher schon fünf Silbermann-Orgeln, darunter die zweite
Frauensteiner, geweiht hatte, und des Frauensteiner Amtmannes Joh.
Christian Gensel. Daneben in ungelenken Buchstaben mit Federkiel
geschrieben Johann Gottfried Silbermann, darunter das berühmte
'Siegel mit den Buchstaben „GS" und einem Orgelprospekt.
Die weiteren Schriftstücke berichten, welche Not der zweite
Schlesische Krieg über Nassau brachte. Zeitweise lagen 2600 Ulanen.
einquartiert. Der dadurch entstandene Schaden wurde mit 3000 Talern
berechnet, so daß man Silbermann bat, von dem mit ihm geschlossenen
Vertrag abzustehen. Aber in den Freiberger Werkstätten hatten die
Vorbereitungen zum Orgelbau bereits begonnen. Die Nassauer mußten
sich die inzwischen fällig gewordene Summe auf andere Weise
ausleihen, um nicht vertragsbrüchig zu werden. Die Gegenleistung
blieb nicht aus. Am 4. August 1748 konnten sie die Orgel übernehmen
und weihen.
Am Morgen des Pfingstsonntags, der regnerisch-trüb wie alle Tage
vorher ist, sind nur wenige, meist ältere dunkelgekleidete
Dorfbewohner zum Gottesdienst versammelt. Unter freiem Himmel auf
dem kleinen mauerumwehrten Friedhof hören wir die Orgel das erste
Mal als Begleiterin des Gemeindegesanges. Am Schluß der Feier erhebt
sie sich zu ihrer ganzen eindrucksvollen Größe. Durch den
Seiteneingang treten wir in das Innere einer charakteristischen
erzgebirgischen Dorfkirche, die mit ihrer doppelten Holzempore und
der flachen Holzdecke, von der ein geschnitzter Taufengel
herunterschwebt, den Orgeltönen von Natur aus einen wohlgesättigten
Klang verleiht.
Die über dem Haupteingang aufgestellte Orgel erweist sich auf den
ersten Blick als ein typisches Werk Silbermanns. Der Prospekt - so
nennt man die Schauseite - zeigt die Aufteilung in drei
flachgewölbte Rundtürme mit jeweils neun silbernen Lippenpfeifen und
vier Zwischenfeldern, zwei oberen und zwei unteren, und mit jeweils
dreizehn kleinen Pfeifen. So hat ihn der Meister vermutlich selbst
und zunächst für die von seinem
Freund George Baehr erbaute Kirche zu Forchheim entworfen. Mehr oder
weniger abgewandelt und dem jeweiligen Standort angepaßt, begegnen
wir dieser Prospektgliederung und Gehäuseform bei vielen
erzgebirgischen Silbermann-Orgeln, in Oederan (1727), Helbigsdorf
(1728), Reinhardtsgrimma und Glauchau (1731), in Großhartmannsdorf
(1741) und Zöblitz (1742).
Das seitliche Rankenwerk und die ornamentalen Verzierungen der Türme
und Unterfelder „accordieren" in schlichter Vergoldung und
alabasterfarbenem Weiß mit den Grundfarben des Kirchenraumes und
seiner bescheidenen Ausgestaltung. Am Mittelturm, der mit der Decke
abschneidet, ist die sonst übliche Bekrönung durch eine Kartusche
mit einem großen „S" ersetzt. Nur noch die Forchheimer können sich
rühmen, ihre Orgel auf solche Weise von Silbermann als das Werk
seiner Hände bezeichnet zu finden.
Während wir die knarrende Holztreppe zur Empore ersteigen, hebt die
Orgel erneut zu tönen an, hell und zart wie Glasglockenspiel. Den
Organistenplatz vor dem Spielschrank hat ein junger
„zivilgekleideter" dunkelhaariger Mann eingenommen: ein Student der
Humboldt-Universität Berlin. Er studiert das zweite Semester
Musikerziehung. Auf die Frage, ob er über die Feiertage in Nassau
hospitiere, antwortet er: „Keineswegs,
mein Interesse gilt durchaus privat den Silbermannorgeln." Zwölf der
barocken Meisterwerke hat er bisher gespielt. Per Anhalter ist er
aus der Jugendherberge im Mörtelgrund nach Nassau herübergekommen,
um seiner alten Bekannten vom Jahrgang 1748 guten Tag zu sagen. Es
ist sein fünfter Besuch in Nassau und gewiß nicht der letzte; denn
die Nassauer, Silbermannorgel ist ihm von allen, die er bisher
spielte, die „liebste". Ist doch an ihr fast alles in jener
Ursprünglichkeit erhalten, wie sie der Meister und seine Gehilfen
schufen.
Auf den Untertasten der Manualklaviatur finden wir das im Kontrakt
erwähnte Ebenholz, auf den Obertasten das Elfenbein wieder. Auch die
aus Hartholz gedrechselten Registerzüge, beiderseits der Klaviaturen
in senkrechter Doppelreihe angebracht, tragen als Zierat ein
Elfenbeinknöpfchen. Handgeschrieben auf Papptäfelchen in steif
verschnörkelter Fraktur die Bezeichnung der Register. Sie reichen
vom „Prinzipal" links
oben, der wichtigsten Stimme in den Werken Silbermanns, bis zum
Tremulanten rechts unten, dem „Trauerregister" der alten
Dorforganisten.
Unserem jungen musikbegeisterten Bekannten bereitet es
offensichtlich Vergnügen, uns die einzelnen Register wie bei einer
„Orgelprobe" vorzuführen: den strahlenden Glanz des von Silbermann
vom französischen Orgelbau übernommenen „Kornetts", wie die alte
Registerbezeichnung lautet, das farbenschillernde Klanggepräge der
Quintaden, die
„liebliche Schärfe und den Silberton" der Rohrflöten, die feierliche
Majestät des Sub- und Posaunenbasses. Die leichte Ansprache der
Ventile und Pfeifen, die Lautlosigkeit der mechanischen Vorgänge
erschließen ein Zauberreich der Klangfarben und Akkorde, über denen
man vergißt, mit welcher Sorgfalt, Mühe und Ausdauer Silbermann jede
einzelne seiner Orgeln nächtelang intonierte.
Knarrend eröffnet uns eine schmale weißgetünchte Holztür den Blick
in das Innere des Orgelwerkes - auf ihr „Herz" - , so bezeichneten
die Orgelkünstler des Barocks die aus Eichenholz gefertigte
Windlade. In Reih und Glied, akustisch-mathematisch exakt berechnet,
stehen auf den Tonkanzellen die Orgelpfeifen aus Zinn, Metall und
Holz, weit über tausend, vom fingerlangen Zwerg bis zum mannsgroßen
Sechzehnfüßer. Die Holzpfeifen sind zweihundertzwanzig Jahre alt,
aber sie sehen so frisch und sauber aus, als wären sie erst gestern
mit Sandpapier abgezogen und eingebaut worden. Bis zu zwanzig Jahren
mußte das Tannenholz lagern und völlig astfrei sein, aus welchem
Silbermann die Pfeifenbrettchen schnitt, die zusammengeleimt und
durch Holznägel verbunden sind. Die Blätter zu den Zinnpfeifen, die
er selber goss und wozu er seit dem Freiberger Domorgelbau
vorwiegend bestes englisches Zinn verwendete, wurden vor dem Löten
gehämmert und nach dem Löten poliert. „Löten ist Silber", sagte
später einmal ein erzgebirgischer Badewannenklempner aus
Schwarzenberg.
Die „Lunge" des Orgelwerkes, zwei aus Schafleder gefertigte
Spanbälge, ist auf dem Kirchenboden untergebracht. Daneben befindet
sich die „Kalkantenkammer", Arbeitsplatz der Bälgetreter. Aus dem
kleinen Fenster schweift der Blick hinunter auf das Dorf. Den
Bälgetretern, Konfirmanden zumeist, blieb keine Zeit zu gemütlicher
Umschau. Die Bank, auf der sie saßen, zeigt deutlich die Spuren
ihrer anstrengenden Strampelei: schenkeltiefe Kerben. Die Wände sind
mit Namen und Jahreszahlen vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum
Jahr 1929 bekritzelt. Dann übernahm ein Elektroventilator das.
Bälgetreten. In kleineren Gemeinden sind die Kalkanten bis heute im
Dienst.
Noch einmal setzt sich der Student vor den Spielschrank, rückt die
Noten auf dem Pult zurecht, registriert die Stimmen. „Präludium und
Fuge" von Johann Sebastian Bach .steht über dem Notenblatt. In
ursprünglicher Reinheit und Kraft, festlich und schön erklingt ein
Loblied auf die großen deutschen Meister des Barocks, auf den
Thomaskantor aus Leipzig und den Orgelbauer aus dem Erzgebirge.